Ich absolvierte meinen ersten Online-Kurs während der Promotionszeit, also vor etwa 10 Jahren. Ich hatte ein ausgeprägtes Interesse an den Methoden rund um die soziale Netzwerkanalyse (Social Network Analysis). Natürlich gab es ein paar einschlägige Summer Schools – ich besuchte u.a. die Trier Summer School und die Greenwhich Summer School. Unterjährig waren Angebote, insbesondere in Deutschland, allerdings rar. Zumindest, bis ich auf einen entsprechenden Kurs auf Coursera, ein Angebot auf einer der großen MOOC-Plattformen, stieß.
Mit dem dem Online-Kurs zur Netzwerkanalyse war auch mein Interesse für die Online-Lehre geweckt. Ich fand es faszinierend zu beobachten, wie tausende Studierende aus ganz unterschiedlichen Hintergründen an diesem Format teilnahmen und sich – in eigenem Tempo und mit eigenen Schwerpunkten – das Thema erschlossen. Da war eine Energie spürbar, die ich in den Live-Kursen so nicht spürte. Und auf einmal war das vermeintliche Nischenthema riesengroß.
Mein Interesse für das Thema wandelte sich dann zügig in einen offiziellen Auftrag. Im Rahmen meiner Tätigkeit als Assistent Professor sollte ich solch einen Kurs auch für die German Graduate School of Management and Law entwickeln. Zusammen mit einem tollen Team, bestehend aus Karina Piersig, Andreas Eckhard und Martina Pumpat, wählten wir einen Kurs aus dem bestehenden MBA-Portfolio und entwickelten für diesen ein innovatives Online-Konzept. Der Titel des Kurses: Human Resource Management in the Digital Age.
Der Kurs war in mehrerlei Hinsicht innovativ. Herausheben möchte ich an dieser Stelle allerdings drei Besonderheiten, die sicherlich auch für die Nutzung unseres Konzeptes in anderen Bildungskontexten hilfreich sind: die 3 Cs der Didaktik, die Beteiligung von Praxispartnern und die Öffnung des Kurses über die klassischen Kurs- oder Hochschulgrenzen hinweg (Open Innovation). Vielleicht kann unser Konzept damit für den ein oder anderen als Vorlage zur Gestaltung eigener Online-Kurse dienen – auch mit Blick auf eine Post-Corona-Ära, in der digitale Lernangebote immer wichtiger werden.
Die 3 Cs der Didaktik: Content, Communication & Construction
Zuerst einmal mussten wir uns über die Umsetzung eines Online-Formats in einem ansonsten klassisch präsensorientierten Studiengang Gedanken machen. Klar war: Eine reine Umwandlung der Inhalte von Offline zu Online war weder wünschenswert noch sinnvoll. Als für uns sehr hilfreich erwies sich bei der Recherche das C3-Rahmenmodell von hybriden Lernarrangements nach Kerres und De Witt (2003).
Im Bereich Content gingen wir zum Beispiel zur Produktion von kurzen Lernvideos über, in der Regel kleine Einheiten von etwa 5-10 Minuten. Die Produktion eben dieser Mikrolerneinheiten (Nuggets) war aus meiner Sicht das größte persönliche Learning in diesem Projekt: Die Aufnahmen der Lehreinheiten per Kamera und mit professionellem Team sowie das präzise Verpacken von Inhalten in kurze Sinneinheiten. Die Lernvideos wurden ergänzt durch Gespräche mit einschlägigen Praxispartnern und eine multimediale Bibliothek mit zusätzlichem Material für das Selbststudium.
Im Bereich Communication ging es um die Förderung der Interaktionen zwischen den Kursteilnehmer*Innen und den Lehrenden. Um den Austausch zwischen Lernenden zu fördern, erstellten diese persönliche Profile auf unserer Lernplattform, nahmen an Diskussionen in Foren teil und lösten Aufgaben in Kleingruppen von je 4-5 Personen (Peer Learning). Es gab diverse Möglichkeiten mit den Lehrenden in’s Gespräch zu kommen, von einer virtuellen Sprechstunde bis hin zu einem Helpdesk. Auch wurden Kurseinheiten und Aufgaben mit entsprechenden Ankündigungen (Mailings, Benachrichtigungen) eingeführt. Wir verstanden diese Tätigkeiten als proaktives Community Management, also im Sinne des Aufbaus einer Lern-Community. Dieser Ansatz ist m.E. noch nicht sehr verbreitet, wenngleich hochaktuell. Ich besuchte beispielsweise im Frühjahr 2021 eine virtuelle Masterclass von Alexander Osterwalder, dem Erfinder des Business Model Canvas, in dem das Community Management hoch professionell und mit beachtlichen Ressourcen durchgeführt wurde.
Im letzten Bereich, Construction, ging es um die Bearbeitung von Aufgaben durch die Lernenden. Dies geschah vorwiegend durch Quizze am Ende der Kurseinheiten, aber auch durch die Präsentation und Diskussion der Gruppenarbeiten (Peer-Feedback). Am Ende gaben immer auch die Lehrenden Feedback. Abbildung 1 zeigt eine Zusammenfassung des Instruktionsdesigns für den Kurs. In Abbildung 2 werden individuelle und Gruppenübungen je Kurseinheit noch einmal aufgeführt. Detaillierte Beispiele werden im Buchkapitel ausführlicher vorgestellt.
Die Praxispartner: Hochkaräter aus Kernbereichen der HR-Praxis
Lehre im MBA ist klassischerweise sehr angewandt und lebt von der Diskussion aktueller Fragestellungen mit einschlägigen Praktikern. Gerade weil wir mit dem Kurs aber auch Praktiker als Teilnehmer*Innen gewinnen wollten, war uns dieser Aspekt besonders wichtig. Wir gewannen für jede Kurseinheit je eine/n hochkarätige/n Praktiker*in, welche aktuelle Themen und Herausforderungen in ihren beruflichen Kontexten besprachen (siehe Abbildung 2).
Im Rahmen von Modul 2, Workforce Planning & Change, besuchten wir beispielsweise Harald Schirmer von der Continental AG in seinem Home Office. Das war in der Prä-Corona-Zeit tatsächlich noch ein außergewöhnliches Setting. Ich erinnere mich gern an diese “Drehtage”, gaben Sie uns als Lehrenden doch ebenfalls die Möglichkeit mit spannenden Persönlichkeiten über die Themen des Kurses in’s Gespräch zu kommen und diese auch persönlich zu treffen. In einigen Fällen, wie mit Harald Schirmer, gab es auch danach noch weitere gemeinsame Aktivitäten, wie zuletzt bei der GeNeMe 2020. Auch die Lernenden empfanden diese Art des Austauschs offensichtlich als sehr wertstiftend, wie die folgenden Zitate zeigen:
Die Videos von den Unternehmensvertretern, das war wirklich brandaktuell. Fand ich klasse, dass man da Einblicke gekriegt hat von Menschen, die man sonst wahrscheinlich nie kennengelernt hätte, außer man ist bei einem Kongress oder so. Das fand ich sehr wertvoll.
Janina Kugel fand ich wirklich super, in ihrer ganzen Art, wie sie sich präsentiert, wie sie kommuniziert und vorstellt, was man bei Siemens alles vorhat. Find ich sehr beeindruckend und sehr bemerkenswert. … Also allgemein waren die ganzen Meet-the-Experts-Interviews richtig spannend für mich.
Gero Hesse war für mich der Einstieg oder Aufhänger, weil ich den als Kollegen empfinde und den unbedingt sehen wollte. Und dadurch hatte ich mich auch auf ihn gefreut.“
Open Innovation im Hochschulkontext: Die Öffnung des Kurses über traditionelle Kursgrenzen hinweg
Open Innovation, also die Öffnung des Innovationsprozesses für Externe, ist ja in vielen Branchen ein heißes Thema. Aber wie sieht Open Innovation im Bildungskontext aus? So!
Wir öffneten den Kurs über die bestehende MBA-Kohorte hinweg und bewarben den Kurs auch für externe Teilnehmer*Innen, insbesondere einschlägige Praktiker*Innen. Die MBA-Studierenden der Hochschule blieben damit die Kern-Community des Kurses. Für sie war die Teilnahme im Rahmen des Curriculums verpflichtend und auch alle Übungen, die wir im Rahmen des Kurses vorsahen. Das war sicher auch ein Vorteil, weil die Studierenden bei der Bearbeitung der Aufgaben oftmals eine Führungsrolle einnahmen und damit auch eine zeitnahe und qualitativ hochwertige Lieferung von (Diskussions-) Inhalten sicherstellten.
Aber auch die Externen spielten eine wichtige Rolle. Wir hatten Teilnehmer*Innen von vielen deutschen Industrieunternehmen, die das Format teilweise auch international bewarben und als Weiterbildung anerkannten (ECTS-Punkte konnten auch von Externen erworben werden, siehe Abbildung 1). Diese Externen berichteten oft sehr ausführlich von den Aktivitäten ihrer Unternehmen in den entsprechenden Themenfeldern bzw. als Ergänzung zu den Beiträgen der Praxispartner*Innen. Neben Teilnehmer*Innen aus der Industrie gab es dann noch eine Reihe von Fachexperten, die vor allem in ihren Themenbereichen aktiv wurden (z.B. Experten aus dem Recruiting).
In Summe konnten sich dadurch beide Welten befruchten: Einerseits erhielten MBA-Studierende wertvolle und ganz praktische Einblicke in eine Vielzahl von Unternehmen, die sich mit den Kursinhalten praktisch befassten, andererseits konnten Praktiker ihr theoretisches Wissen auffrischen und kamen über den Kurs mit einer Reihe von Lernenden in Kontakt, die Interesse an der Fachexpertise der Praktiker*Innen hatten. Die verschiedenen Teilnehmergruppen gestalteten durch einen Co-Creation-Ansatz den Kurs ganz entscheidend mit.
Machen MOOCs Karriere? Das Buch
Unser Buchkapitel mit dem Titel Erfolgsfaktoren für die didaktische Gestaltung von Corporate MOOCs (vollständige Quellenangabe inkl. Entwurfsversion des Beitrags siehe Referenz unten), erschien in einem Sammelband mit dem Titel Machen MOOCs Karriere? Neben den oben genannten Besonderheiten geht es in dem Beitrag um das Instruktionsdesign und die technische Umsetzung des Online-Kurses. Die Ergebnisse einer Evaluationsstudie werden präsentiert und daraus sechs Erfolgsfaktoren abgeleitet. Abschließend werden Empfehlungen zur verbesserten Aktivierung der Lernenden abgeleitet.
Das Buch wurde von Markus Deimann und Christian Friedl, zwei Experten im Bereich der Online-Lehre und Vertraute der MOOC-Landschaft, herausgegeben. Es beinhaltet verschiedene Erfahrungsberichte von sogenannten Corporate MOOCs, also größeren Online-Kursen aus Unternehmenskontexten, u.a. von AUDI, Credit Suisse, Erste Bank und der GIZ. Mit Open SAP ist auch ein Anbieter einer MOOC-Plattform mit vertreten. Dr. Jochen Robes vom Weiterbildungsblog hat hier ein Review zu dem Buch verfasst.
Und nicht zuletzt: Meine geschätzte Kollegin, Karina Piersig, war ebenfalls beim Hochschulforum Digitalisierung zu Gast, um über die didaktische Gestaltung von Online-Kursen und andere innovative Formate im Bildungssektor (z.B. Book Sprints) zu sprechen.
Referenz:
Piersig, K., Pumpat, M., Wagner, D., & Eckhardt, A. 2020. Erfolgsfaktoren für die didaktische Gestaltung von Corporate MOOCs. In M. Deimann & C. Friedl (Eds.), Machen MOOCs Karriere? Eine praxisnahe Reflexion über Erfahrungen von Unternehmen: 77–105. Berlin, Heidelberg: Springer. [Draft, Chapter, Book]
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